Zentrum für Sozialwirtschaft

Stellungnahme zum Steirischen Sozialhilfegesetz

STELLUNGNAHME 

zum Gesetz, mit dem das Gesetz über die Gewährung von Sozialunterstützung erlassen und u.a. das Steiermärkische Behindertenhilfegesetz geändert wird. 

Zum StSUG:

Allgemein

Wir erachten es als problematisch, dass das Land Steiermark mit dem vorliegenden Ausführungsgesetz die im ohnehin eng gezogenen Rahmen des  Sozialhilfegrundsatzgesetz (SH-GG) aus 2019 die noch verfügbaren Gestaltungsräume nicht ausschöpft und sich wie Niederösterreich darauf beschränkt, das Bundesrahmengesetz in das Landesrecht zu übersetzen.

Dies betrifft die Wohnkosten-Regelung (60-40), die Verknüpfung von Pflichtleistungen und Kannleistungen (HIBL) sowie die denkmögliche Imputation von Bedarfen, welche der Bundesgesetzgeber im SH-GG gasr nicht erfasst hat. Faktisch bestünde ein nicht unerheblicher Handlungsspielraum für den Landesgesetzgeber, welcher diesen nicht genutzt hat.

Wir erachten es als positiv, dass das Land Stmk den Entwurf zum StSUG zur Begutachtung aussendet.

Sozialpolitische Ausgangsbedingung

Wir vertreten die Auffassung, dass die COVID-19-Katastrophe die seit 2008 sich entwickelnden Strukturprobleme der Ökonomie (Prekarität, Atypizität, sinkende Löhne, unleistbare Mieten, rasanter Anstieg der Kinderarmut, Zunahme der Armutsdauer, zunehmende Vererbbarkeit von Armut, Zunahme der Komplexität von Armutslagen bedingt durch Zeitarmut, Kontaktarmut, gesundheitliche Einschränkungen usw. usf.) erheblich verschärft, aber nicht ausgelöst hat. Zugleich wird aber deutlich, dass die Folgen der COVID-19-Katastrophe, die weit über jene der Weltwirtschaftskrise 1929 hinausgehen (werden), aus Anlass der Umsetzung eines SH-GG Berücksichtigung finden müssen, soll das StSUG auch nur annähernd als praktisch wirksames Instrument der Bekämpfung von Armutslagen zum Einsatz gelangen. Diesem Anspruch wird das Gesetz aber nicht gerecht. 

In grundsätzlicher Weise ist zu kritisieren, dass weder die seit der Krise 2008 zu Tage getretenen Herausforderungen der Armutsbekämpfung, zu denen etwa die Schließung des Marktes leistbarer Wohnungen für NiedriglöhnerInnen und atypisch Beschäftigte gehört, noch die aktuellen und absehbaren Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der sozialpolitischen Bewältigung der SARS-CoV-2-Katastrophe dem österreichischen Sozial- und Gesundheitssystem stellen und stellen werden, angemessen thematisiert werden. 

Stattdessen richtet sich die Stoßrichtung des vorliegenden Gesetzesentwurfes in Ausführung der verfassungsrechtlich äußerst problematischen migrationspolitischen Zielsetzung, welche die Zuwanderungsproblematik (nicht nur der Jahre 2016 bis 2018) dadurch zu „lösen“ versucht, dass sie die Lebensbedingungen von migrantischen Personen und ihren Familien gegenüber dem gegenwärtigen Status – zum Teil erheblich – verschlechtert, vor allem auch auf die Implementation eines „work first“-Ansatzes, der Arbeitslose in Niedriglöhner und Working Poor verwandelt.

Das SH-GG hat die Zielsetzung der Menschenwürde eliminiert und durch indifferente Unterstützung und Förderung der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben ersetzte, ohne auf zentrale armutspolitische Fragen soziotechnisch Bezug zu nehmen. Dessen ungeachtet hätte Spielraum für den Landesgesetzgeber bestanden, nicht nur die ursprüngliche Zielsetzung beizubehalten, sondern auch, in der allgemeinen Zielsetzung des § 1, dernach die SH nur mehr zur Unterstützung des Lebensbedarfes, aber nicht mehr der Armutsbekämpfung dient, sozialpolitisch nachzuschärfen.

Das Gesetz verkennt, dass den neuen Armutslagen entsprechend Rechnung zu tragen gewesen wäre. Bereits vor der COVID-19-Katastrophe waren 7% der Erwerbsbevölkerung Working Poor, 17% Niedriglöhner, beinahe 50% atypisch beschäftigt. Die untersten 25% der EinkommensbezieherInnen (Haushalte) geben mehr als 50% ihres Haushaltsnettoeinkommens für den Wohnaufwand aus. Ein Sozialhilfegesetz müsste u.E. auf diese Problematik  reagieren.

Das Gesetz verkennt zugleich auch die aktuelle Dynamik: mit Ende Juli 2020 waren COViD-19-bedingt 750.000 ArbeitnehmerInnen in Kurzarbeit, 420.000 arbeitslos. Allen Prognosen zufolge wird die Kurzarbeit weiter von ursprünglich 1,3 Mio auf 450.000 zurückgehen, indes die Zahl der Arbeitslosen rasant ansteigen, wenn zwischen Herbst 2020 und Frühjahr 2021 die durch Stundungen und Kreditierungen verschobene Insolvenzwelle einsetzen wird. 

Tatsache ist, dass diese Verknüpfung aus prekärer Arbeit, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und eingeschränkten Zugängen zu leistbarem Wohnen bis tief in die Mittelschichten hinein reicht. Sie trifft sowohl vulnerable Personengruppen sowie ArbeiterInnen als auch Angestellte, Neue Selbständige, Familienbetriebe und EPU´s.

Absehbar ist ein effektives, Armutsrisken abdeckendes „zweites Netz“ erforderlich. Ein zweites soziales Netz wäre dann effektiv, würde es die finanziellen Leistungen für die Betroffenen auf das Niveau der Armutsgefährdungsschwelle nach EU-SILC anheben und gesondert Leistungen für den Wohnbedarf in einem gesonderten Wohnungssicherungsrecht etablieren (was das SH-GG zugelassen hätte).

 

Zu den einzelnen Bestimmungen des StSUG

Zu § 1

Sozialhilfe sollte keine Unterstützung des Lebensbedarfes, sondern die Vermeidung von Armut als Zielsetzung formulieren und umsetzen. Auch wenn sich diese Bestimmung im SH-GG findet, bestünde für den Lds Gesetzgeber Spielraum, das StSUG als Gesetz zur Armutsbekämpfung zu konzipieren.

 

 Zu § 2 

Die Beweislastumkehr bei Annahme einer Wirtschaftsgemeinschaft ist zurückzuweisen. Es ist Sache der Behörde, iSd materiellen Wahrheitspflicht gem §§ 39, 45 AVG  bis zu einem an Sicherheit grenzenden Grad der Wahrscheinlichkeit das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals zu ermitteln. Daher sollte auch das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft behördlich objektiviert werden müssen.

Nachgerade abwegig ist die gesetzliche Gleichsetzung einer Wirtschafts- und Bedarfsgemeinschaft in der vorliegenden Bestimmung. Eine Bedarfsgemeinschaft bei welcher der Bedarf unter Berücksichtigung wechselseitiger Unterhaltsverpflichtungsverhältnisse ermittelt wird, kann denkunmöglich auf dem Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft beruhen. Zivilrechtlich nicht zum Unterhalt Verpflichtete können auch nicht zu einer Unterhaltsleistung herangezogen werden. Eine entsprechende Rechtsverfolgungspflicht wäre zivilrechtlich gegenstandslos.

 

Zu § 4 

Leistungen der Sozialunterstützung sollten nicht von der „grundsätzlichen Verfügbarkeit“ am Arbeitsmarkt, sondern wie bisher und zuvor schon in der alten Sozialhilfe von der Bereitschaft der hilfebedürftigen Person, die eigene Arbeitskraft zumutbar und entsprechend der jeweiligen Einzelfall-Bedingungen einzusetzen. Der unbestimmte Begriff „grundsätzliche Verfügbarkeit“ ist irreführend und geht hinter die bestehende legistische Klarheit der bisherigen Regelung zurück. Man könnte sich hierzu an § 3 SH-GG orientieren.

 

§ 6

Die Anrechnung des Lebensgefährten auf den Bedarf einer hilfebedürftigen Person widerspricht u.E.n. der zivilrechtlichen Privilegierung der Ehe als Vertragsverhältnis wechselseitiger Unterhalts- und Beistandspflichten. LebensgefährtInnen schulden einander keinen Lebensunterhalt. Selbst wenn ein SUG diese Schuld simuliert, so ist diese Rechtsverfolungspflicht gerichtlich nicht durchsetzbar und verletzt das von VwGH bislang affirmierte „Tatsächlichkeitsprinzip“.

 

Zu § 7 Abs 1

Die Höhe der Leistung kann wohl nicht vom faktischen Einsatz der eigenen Arbeitskraft, sondern wohl nur von der Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft abhängig gemacht werden.

 

zu § 7 Abs 4

Die Sanktionsandrohung in § 7 Abs 4 StSUG, bei Nichtzuhaltung einer Verpflichtung gem. § 16c IntG im Weiteren gem. § 8 StSUG eine (schrittweise) Sanktion zu verhängen, ist u.E.n. unter Hinweis auf Art 18 B-VG verfassungswidrig.

 

zu § 8 Abs 1

Die Übernahme der Wohnkostenregelung aus dem SH-GG kompensiert die Unsinnigkeit dieser Regelung nicht. Seit dem Referentenentwurf 1971 zur Sozialhilfe über die BMS hinweg waren die Abdeckung der Wohnkosten als Geldleistung konzipiert, weil 95% aller KlientInnen der laufenden offenen Sozialhilfe auf dem regelhaft privaten und daher teuren Wohnungsmarkt versorgt werden mussten. Wenn nun die Deckung des Wohnbedarfs regelhaft Sachleistung wird so wäre doch zu klären, was dies für die Vollziehung bedeutet und ob diese Bestimmung überhaupt implementierbar ist.

Der Gesetzgeber sollte vielmehr vorweg einer Prüfung unterziehen, welcher Wohnbedarf in welchen Fällen als „monatliche Sachleistung“ in einem Gesetz über die „offene Sozialhilfe“ als Sozialunterstützung (soziale Dienste sind ja im SHG verblieben) gewährt werden kann. Im Lichte der BMS-Statistik wird dies allenfalls in stationären Einrichtungen bzw. sozialen Diensten der Fall sein. Die Erbringung einer Leistung zur Deckung des Wohnbedarfes wird also der Ausnahmefall sein. Es ist unverständlich, wieso sie als Regelfall im Gesetz aufgeführt wird.

 

zu § 8 Abs 5

Das StSUG kopiert hier eine Kann-Bestimmung aus dem SH-GG, die neuerlich die Frage aufwirft, ob der Gesetzgeber hier eine Folgekostenabschätzung vorgenommen hat. § 5 Abs 5 SH-GG besagt bekanntlich, dass „Sachleistungen (…) im Ausmaß ihrer angemessenen Bewertung auf Geldleistungen anzurechnen (sind). Die Landesgesetzgebung kann vorsehen, dass auf Antrag des Bezugsberechtigten oder von Amts wegen Leistungen zur Befriedigung des gesamten Wohnbedarfs anstelle von Geldleistungen in Form von Sachleistungen erbracht werden. Diesfalls können bis zu 70% der Bemessungsgrundlage gemäß Abs. 2 und Abs. 6 ausschließlich in Form von Sachleistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs erbracht und pauschal mit 40% bewertet werden, sodass 60% der Bemessungsgrundlage in Form von Geld- oder Sachleistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts zur Verfügung verbleiben (Wohnkostenpauschale).

Der Grundsatzgesetzgeber sagte damit nicht, dass Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfes als Sachleistungen gewährt werden müssen und sagte auch nicht, dass die 60-40-Regelung im Ausführungsgesetz implementiert werden muss.

Das Land Stmk kann also Wohnleistungen regelhaft und prioritär als Geldleistungen ausweisen und die alte 75-25-Regelung beibehalten. U.E.n. hätte der Landesgesetzgeber auch zu prüfen, welche Folgen die nunmehr zu erlassende Bestimmung hat, etwa im Hinblick auf Obdach- und Wohnungslosigkeit die damit verbundenen sozialen und ökonomischen Folgekosten.

§ 8 Abs 7 bleibt im vorliegenden Zusammehang unverständlich, selbst wenn das Gesetz auf die ohnehin reduzierte Zielsetzung beschränkt wird, einen Beitrag zum Lebensunterhalt zu leisten. Eine alleinunterstützte Person wird hinkünftig in Anwendung der 60-40-Regelung bei einem (willkürlich) angenommenen RS in Höhe von 900 360 € für den Wohnaufwand, so eine Wohnung als Sachleistung nicht verfügbar ist, als Geldleistung zu Verfügung haben.

Der LdsGesetzgeber bestimmt in § 8 Abs 7 StSUG, dass der Höchstsatz gem. § 8 Abs 3 SUG  die tatsächlichen Wohnkosten nicht übersteigen darf. Wir wagen die Prognose, dass in knapp 100% der Fälle einer marktlich angemieteten Wohnung für eine alleinstehende Person die tatsächlichen Wohnkosten für einen Einpersonenhaushalt in der Stmk über 360 € liegen. Gem. § 2 soll dieser Betrag nämlich Miete, Hausrat wie Kühlschrank, Waschmaschine, Herd oder Geschirrspüler, Heizung, Strom, allgemeine und spezielle Betriebskosten sowie öffentliche Abgaben decken. Damit ließe sich allenfalls ein Puppenhaus betreiben, aber keine Garconniere.

 

§ 10

Die Regelung, Zusatzleistungen zum Leistungskatalog des § 8 StSUG nur (!) als Sachleistungen zu gewähren, erachten wir als faktisch wirkungslos. Denn jemand, der Wohnkosten mit dem zur Verfügung stehenden Betrag nicht decken kann, würde im Weiteren auf eine Sachleistung im Rahmen der öffentlichen Privatwirtschaftsverwaltung beziehen können. Dies würde aber das Problem ausständiger, nicht beglichener Mietkostenanteile nicht lösen.

 

Zum Steiermärkischen Behindertenhilfegesetz

Zu § 1a

Beiu der Begriffsdefinition ist auf das in der – von Österreich ratifizierten und damit ins nationale Recht übernommenen – UNBRK auszugehen. In der UNBRK wird das soziale und nicht das medizinische Modell der Behinderung ins Zentrum gestellt, Behinderung ist daher ressourcenorientiert und nicht defizitorieniert abzuhandeln.

Zu § 9, Zi 5

Bisher ist bundesgesetzlich geregelt, dass der Bund die Kosten der Krankenversicherungsbeiträge für alle Personen übernimmt, die Leistungen aus der Mindestsicherung bzw. neu aus der Sozialhilfe erhalten. Sollte nicht beabsichtigt sein, diese Bundesleistung zu streichen, ist daher die hier normierte Doppelleistung nicht verständlich.

§ 21a, Zi 5

Erholungshilfen für Menschen mit Behinderung sollten – im Sinne des Präventionsgedankens – von einer Kann- zu einer Pflichtleistung des Landes werden.

§ 55

Auch hier sollte bei den Strafbestimmungen auf den Datenschutz und die DSGVO mit ihren Strafsätzen verwiesen werden, um betroffene Menschen besser vor Stigmatisierungen zu schützen.

Zum Steiermärkischen Grundversorgungsgesetz

Allgemein sollte hier angemerkt werden, dass auch Personen, die dem geltungsbereich des Grundversorgungsgesetzes unterstellt sind, von den medizinsichen, ökonomsichen und sozialen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie betroffen sind; sie sollten daher aus dem (deutlich auszuweitenden) Schutz der Betroffenen explizit nicht ausgeschlossen werden.

Zu § 7

Bedauerlich ist, dass sich das Land Steiermark hier einer bereits abgewählten bundespolitischen Linie der Verfolgung und Diskriminierung schutzsuchender Personen unterwirft, indem bisherige Kann-Bestimmungen zur Verweigerung, Einstellung oder Einschränkung von Leistungen zu Muss-Bestimmungen umgewandelt werden.

Zu § 20

Auch hier sollte auf den Datenschutz und die in der DSGVO geregelten Strafbestimmungen verwiesen werden, um Personen, die sich in der Grundversorgung befinden, vor Stigmatisierung zu schützen.

Steiermärkisches Wohnunterstützungsgesetz

Zu § 4

Hier sollten die Gewichtungsfaktoren des zu berücksichtigenden Einkommens der weiteren, in einem Haushalt lebenden Personen, wie sie vom EU-SILC angewendet werden, herangezogen werden. Der Höchstbetrag der Förderung hat sich am tatsächlichen Wohnungsmarkt zu orientieren und nicht am Einkommen des Haushaltes; gerade in Zeiten explodierender Wohnkosten müssen auch die notwendigen Hilfen zur Finanzierung des Wohnraumes der Marktentwicklung (Preisentwicklung) flexibel folgen.

 

 

Eintrag vom 28.08.2020

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